Liebe Leserin, lieber Leser,

Barmherzig ist ein Schlüsselwort, wenn Menschen versuchen, Gottes Wirken zu beschreiben.

Barmherzig ist eine besondere Form des Bewegtseins, der Emotion. Barmherzig sein, heißt für mich: sein ganzes Wesen öffnen und die Welt um sich wahrnehmen. Sich von dem, was ich mit allen Sinnen aufnehme berühren lassen und in Bewegung kommen.

Ich bin innerlich berührt und bewegt von dem, was mir begegnet. Und dieses Bewegtsein führt mich zum Nachdenken und Handeln, wenn Freude geteilt werden will, Trauer getragen und Not gewendet werden muss.

Das Spannende ist, dass Gott selbst sich vorstellt als ein barmherziger Gott.

Gott selbst sagt zu Mose, ich bin barmherzig, das heißt, also, dass Gott vor allen Dingen ein offenes Herz für andere hat. Ein Herz, das in Bewegung kommt, gerade dann, wenn es die Armen, die Schwachen, die Unterdrückten, die Ausgegrenzten, die Abgeschobenen wahr nimmt. Von all dem was diese Menschen erfahren, erleben und erleiden ist Gott betroffen und bewegt bis ins Innerste hinein.

Dieses Bewegtsein Gottes äußert sich. Es kommt von innen nach außen. Gott tritt aus sich heraus an die Seite des Menschen, wird Mensch in Jesus Christus. Gott will durch seinen Einsatz für die Menschen und sein Handeln dafür sorgen, dass ihre Not ein Ende findet, das meine Not ein Ende findet.

Ich darf erfahren, dass Gott sich durch nichts, durch keine Gewalt, keine Bosheit, keine Enttäuschung, sich auch nicht unter Leid und Kreuz davon abhalten lässt, für mich da zu sein, für mich ein offenes Herz zu haben und mir durch seine Nähe zu helfen.

Diese Erfahrung verändert.

JESUS CHRISTUS SPRICHT:

SEID BARMHERZIG, WIE AUCH EUER VATER BARMHERZIG IST!

LK 6,36 - JAHRESLOSUNG 2021

Diese Erfahrung bringt in Bewegung, in ein Bewegtsein.

Jetzt also mit offenen Augen durch diese Welt gehen und sich auch von dem treffen lassen, was an Leid, Elend und Schmerz tagtäglich Menschen auszuhalten haben.

Nach der Tradition zählt die Bibel (bei Matthäus 25, 34–46 und im Buch Tobit 1,17–20) sieben Baustellen auf, auf denen die Barmherzigkeit zu Werke kommt, ein bewegtes Herz zur Tat findet:

• Hungrige speisen
• Obdachlose beherbergen
• Nackte bekleiden
• Kranke besuchen
• Gefangene besuchen
• Tote begraben
• Almosen geben

Hinz kommen noch die Geistliche Werke der Barmherzigkeit:

• die Unwissenden lehren
• die Zweifelnden beraten
• die Trauernden trösten
• die Sünder zurechtweisen
• Beleidigern gern verzeihen
• Lästige geduldig ertragen

Doch diese Liste endet nicht. Sie ist auch in den Zeiten nach der Bibel erweitert und fortgeschrieben worden. Denn zum einen kennt Gottes Barmherzigkeit keine Grenzen. Zum anderen aber gilt das auch für die Not in dieser gefallenen Welt.

Barmherzigkeit heißt also ganz konkret hinsehen, was für eine Not und was für ein Leid herrscht und sich davon in Bewegung bringen lassen und dieses Bewegtsein in konkretes Tun und Lassen umsetzen.

Es gibt unzählige Menschen, die Barmherzigkeit in ihrem Alltag leben, ohne viele Worte zu machen. Gerade in dieser Zeit der Pandemie. Die keine Enttäuschung, keine Gefährdung, kein Kreuz davon abhält, für andere da zu sein.

Ihr Bewegtsein kann uns mitnehmen und anregen für die kommende Zeit, die Barmherzigkeit „Not-wendig“ hat.
Was wir an Offenheit des Herzens, Geduld und Rücksicht für andere neu entdeckt haben in den vergangen Monaten werden wir u.A. brauchen für die etwa 25.000 Menschen, die immer noch täglich am Hunger sterben, und eine Schöpfung, die unter unseren Umgang mit der Welt leidet.

Sich von der Barmherzigkeit Gottes bewegen lassen … Emotion! …, das ist ein große Gnade und eine große Aufgabe für die kommende Zeit und ein gutes Lebensziel (nicht nur) in diesem Jahr.

Stefan Lipfert, Pfarrer

Quelle Bild zur Jahreslosung: www.ekd.de